§ 24 SGB VIII – Anspruch auf Förderung in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege:
Seit dem 01.08.2013 gilt ein neuer Rechtsanspruch, den ich nachfolgend aufführen möchten:
- 24 SGB VIII – Anspruch auf Förderung in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege
„(1) Ein Kind, das das erste Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist in einer Einrichtung oder in Kindertagespflege zu fördern, wenn diese Leistung für seine Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit geboten ist oder die Erziehungsberechtigten
a) einer Erwerbstätigkeit nachgehen, eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder Arbeit suchend sind,
b) sich in einer beruflichen Bildungsmaßnahme, in der Schulausbildung oder Hochschulausbildung befinden oder
c) Leistungen zur Eingliederung in Arbeit im Sinne des Zweiten Buches erhalten. Lebt das Kind nur mit einem Erziehungsberechtigten zusammen, so tritt diese Person an die Stelle der Erziehungsberechtigten. Der Umfang der täglichen Förderung richtet sich nach dem individuellen Bedarf.
(2) Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend.
(3) Ein Kind, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, hat bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben darauf hinzuwirken, dass für diese Altersgruppe ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen zur Verfügung steht. Das Kind kann bei besonderem Bedarf oder ergänzend auch in Kindertagespflege gefördert werden.“
Neu ist ab August 2013 der Satz: Der Umfang der täglichen Betreuung richtet sich nach dem täglichen Bedarf. Das gilt nach dem Wortlaut des Gesetzes für Kinder unter einem Jahr, soweit die Eltern z.B. beide erwerbstätig sind und für Kinder zwischen dem ersten und dem vollendeten dritten Lebensjahr unabhängig von der Erwerbstätigkeit. Das gilt nach systematischer Auslegung auch für die Kinder zwischen 4 und 6 Jahren.
Damit ist die Regelung in § 12 des niedersächsischen Kindergartengesetzes (KitaG), wonach sich der Anspruch lediglich auf eine Vormittagsgruppe (oder 4 Stunden nachmittags) richtet, gemäß Art. 31 GG nicht mehr wirksam, denn Bundesrecht bricht Landesrecht. Im Hinblick auf die veränderten Familienstrukturen, die hohe Zahl erwerbstätiger Mütter und die Zielsetzung gemäß SGB VIII §22 Abs. 2 Nr. 3 wird der Rechtsanspruch nur durch eine Mindestbetreuungszeit von 6 Stunden erfüllt.
Tageseinrichtungen für Kinder und Kindertagespflege sollen den Eltern dabei helfen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren zu können. Durch jährlich wechselnde Betreuungszeiten wird dies den Eltern unmöglich gemacht. Arbeitgeber müssen verlässlich langfristig mit Arbeitnehmern planen können. Können sie dies nicht, sind die Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt nicht attraktiv und rutschen in Teilzeit oder schlimmstenfalls in Arbeitslosigkeit.
Daher ist nach der neuen Rechtslage ab 01.08.14 von einer Betreuungszeit von acht bis neun Stunden auszugehen. Es ergibt sich also die objektiv-rechtliche Verpflichtung für die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen zur Verfügung zu stellen.
Da der öffentliche Träger (Jugendamt) für die Erfüllung des Rechtsanspruchs einzustehen hat, ist der Einwand, die Kapazitäten seinen ausgeschöpft oder nicht ausgeschöpft, rechtlich ohne Belang. Der öffentliche Träger hat einen Platz zur Verfügung zu stellen bzw. zu schaffen. Alle Eltern haben einen Rechtsanspruch darauf, der sofort im Eilverfahren durchsetzbar ist.
Das ergibt sich nicht nur aus dem Gesetz, sondern auch aus den Kommentierungen des Gesetzes. Dazu also Info für alle am politischen Prozess beteiligten Juristen – die entsprechenden Zitate aus dem Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, Münder, Meysen, Trenczek, 7. Auflage § 24 Rn. 17 und 67:
„Im Hinblick auf die veränderten Familienstrukturen, die hohe Zahl erwerbstätiger Mütter und die Zielsetzung gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 3 – Tageseinrichtungen für Kinder und Kindertagespflege sollen … den Eltern dabei helfen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren zu können – wird der Rechtsanspruch nur durch eine Mindestbetreuungszeit von sechs Stunden erfüllt (Wiesner/Struck § 24 Rn. 15; Schellhorn Fischer § 24 Rn. 12; Kaiser in: LPK-SGB VIII § 24 Rn. 11; GK-SGB VIII/Gerstein § 24 Rn. 12). Abweichende landesgesetzliche Regelungen, die etwa nur einen Anspruch auf eine vierstündige Betreuung vorsehen, sind gemäß Art. 31 GG unwirksam (Bundesrecht bricht Landesrecht). Nach der Rechtslage ab dem 1.8.2013 ist von einer Betreuungszeit von acht bis neun Stunden auszugehen.“
„Der Umfang der täglichen Betreuung richtet sich nach dem individuellen Bedarf… also auch, je nach Bedarf, auf einen Ganztagsplatz. Im Hinblick darauf, dass der Rechtsanspruch auch dazu dienen soll, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu ermöglichen… bedeutet das eine Betreuungszeit von acht bis neun Stunden (Rixen, NJW 2012, 2839, 2841)“
Nur der vollständigskeithalber sei noch die Kommentierung zu den Ganztagsplätzen angefügt. Frankfurter Kommentar § 24 Rn. 32: „Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe (Anmerkung Landkreis Stade bzw. per Vertrag die Gemeinden) haben darauf hinzuwirken, dass für die …Kinder ab dem dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt.. ein bedarfsgerechtes Angebot zur verfügung steht. Ein „Ganztagsplatz“ ist nicht frei definierbar, sonder muss über die ohnehin geforderte Mindestbetreuungszeit von sechs Stunden … hinausgehen. Es muss eine durchgehende Betreuungszeit gewährleistet sein, die es den Eltern ermöglicht, einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachzugehen. Unter Berücksichtigung der notwendigen Fahrtzeiten ist das ein Zeitraum von mindestens zehn Stunden, während der die Mittags- und sonstige Verpflegung sicherzustellen ist.“
Eltern haben wie folgt die Möglichkeit zu reagieren:
Mit einer
- Klage mit einstweiligem Rechtsschutz (Eilverfahren) auf Zuweisung der Plätze bzw. Klage auf Plätze des individuellen Bedarfs mittels einstweiliger eilbedürftiger Anordnung gem. § 123 VwGO
Sollte der Beklagte (der öffentliche Träger) sein Amt dennoch nicht oder nicht bis zur Fristsetzung vom 01.07.14 ausüben, können Eltern
- eine Klage auf Aufwendungsersatz bei selbst beschaffter Betreuung (§ 839 BGB iVm Art. 34 S. 1 GG), (§ 839 Abs. 1 BGB iVm Art. 34 S. 1 GG) und / oder
- eine Klage auf Schadensersatz bei Verlust oder zwangsweiser Reduzierung der Arbeitsstelle bewirken.
Der freiwillige Austritt aus dem Arbeitsmarkt und / oder Zwangsteilzeit führen langfristig zur Disqualifizierung vom Arbeitsmarkt, Rentenminderung und Altersarmut.
Einen Anspruch auf einen Kitaplatz dürfte auch während des Asylverfahrens bestehen gem. § 6 Abs. 4 in Verbindung mit dem Haager Kinderschutzübereinkommen vom 1.1.2011. Strittig könnte nur sein, ob Art. 4 gilt, danach sind ausgeschlossen die soziale Sicherheit und allgemeine Angelegenheiten der Erziehung.
Die Anspruchsberechtigten haben das Recht, zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger zu wählen (§5 Abs. 1 S.1 SGB VIII).
Die pauschalierte Beteiligung an den Kosten für die Inanspruchnahme der Förderung eines Kindes in Tageseinrichtungen oder in Kindertagespflege (§90 Abs. 1 S.1 Nr. 3 SGB VIII) hat mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder – und Jugendhilfe zum 01. Oktober 2005 eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Gleichrangigkeit der Angebote erfahren.
Ausweislich der Gesetzesbegründung soll sich die Höhe der Beiträge für die Förderung in Kindertagespflege an der Höhe der Beiträge für die Betreuung in Tageseinrichtungen orientieren.
Einer stark überhöhten Satzung für Kindertagespflege (z.B. Kinderfrau, Großtagespflege / Betriebskita) ist im Hinblick auf das aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Gebot der Belastungsgleichheit, aber auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, nach dem von einer übermäßigen Erhebung von Kosten- und Teilnahmebeiträgen auszugehen ist, starke Grenzen gesetzt.
Hierzu gibt es folgendes bundesweit gültiges Urteil:
„Auch für die Erhebung von Kostenbeiträgen für die Kindertagespflege nach § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII gilt der sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergebende Grundsatz der Abgabengerechtigkeit.“
OVG Lüneburg 4. Senat, Beschluss vom 21.06.2013, 4 LA 102/12
Die Satzung für die Beiträge für Kindertagespflege wurde daher in einem anderen Landkreis als rechtswidrig und rückwirkend als nichtig erklärt.
Grundsätzlich unterstützt durch das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 S.1 GG) und als Ausdruck des Dienstleistungsgedanken wird der Jugendhilfeträger dazu verpflichtet, die Anspruchsberechtigten in ihren Wünschen und Interessen ernst zu nehmen und in der Verwirklichung ihrer Hilfebedürfnisse zu unterstützen.
Obendrein ist es rechtswidrig, die Förderberechtigten aufgrund mangelnder bzw. einseitiger Angebote zur Inanspruchnahme von stark überhöhten Beiträgen zu nötigen. Bedauerlicherweise wissen dies die wenigsten Eltern und akzeptieren in Unwissenheit überhöhte Satzungen bzw. überhöhte Elternbeiträge.
Zur Erweiterung – der Träger der Jugendfürsorge sollte Eltern ca. drei Tagesmütter vorschlagen können (vgl. § 14 Abs. 5 Satz 3 SGB IX).
Was bedeute dies in Euro? Ein Ganztagsplatz bei einer Tagesmutter hätte uns im Landkreis Oldenburg ca. 600 € gekostet, sofern die Tagesmutter nicht mehr als 3,58 € / Stunde berechnet hätte. Fordert sie mehr, steigen die Kosten erneut. In Oldenburg ist z.B. ein Satz von 4,50 € je Kind / Stunde bei Kinderfrauen oder in Kindertagespflege / Betriebskitas üblich. Ein vergleichbarer Krippenplatz in der Gemeinde Hatten liegt derzeit bei etwa der Hälfte der Kosten. Obendrein erhalten Geschwisterkinder in öffentlichen Einrichtungen einen Geschwisterrabatt.
Hier eine Linkliste:
Bundesrecht bricht Landesrecht